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FeldpostbriefStadtgeschichtliches Museum LeipzigSammlung Autographe Stadtgeschichtliches Museum <Leipzig>Signatur: A/2022/35

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FeldpostbriefStadtgeschichtliches Museum Leipzig ; Sammlung Autographe Stadtgeschichtliches Museum <Leipzig>

Signatur: A/2022/35


Tietze, Hilde [Verfasser]

Leipzig. - 21 x 29,7 cm. - Brief, Handschrift

Inhaltsangabe: Mein Allerliebster 6.12.43 Heute will ich dir mal ausführlicher schreiben. In dieser Nacht habe ich gut geschlafen, obwohl wir abends mit Bangen ins Bett gehen. Denn das sich der (?) mit dem einen Angriff auf Leipzig zufrieden gibt, glauben wir nicht. Bis jetzt ist der Westen und Südwesten noch unversehrt, wieweit die Verwüstungen im Süden und Osten gehen, wissen wir noch nicht. Was im Norden los ist, kennen wir auch nicht. Ich kann dir aber sagen: was man als „Leipzig“ bezeichnet, ist nicht mehr Kannst du dir vorstellen, das du auf dem Augustusplatz stehst und nur Ruinen siehst. Gestern mittag brannte die Universität noch. Durch den Stadtkern (Grimmaische Str.) kommst du gar nicht, abgesperrt. Ob da noch etwas steht? Johannisplatz – Dresdner Str. und Seitenstraßen ausgebrannt. Herr Pohl ist gestern gegangen um nach den Arbeitsstätten zu suchen. Von allen dreien ist nichts mehr da. Er sagt, im Weltkrieg hätte er eine französische Stadt gesehen, die ihn so erschüttert hat. Das hier ist schrecklicher. Am Westplatz ist kein Gebäude mehr da. In sämtlichen Straßen von dort aus hat es gebrannt. Am Sonnabendfrüh mussten sie aus dem Keller raus, weil die Hitze und der Staub und Rauch zu groß wurden. Die Kolonnadenstraße und Alexanderstr. brannten schon, ihr Haus noch nicht. Natürlich hatten sie keine Hoffnung, je ihre Sachen wiederzusehen. Als sie auf dem Westplatz standen, konnten sie nicht weiter, überall Flammen. Herr Pohl hat erst gesehen, wo am besten ein Durchkommen ist. Da waren sie so nahe am Park und war so schwer, hinzukommen. Sie sind dann die Hindenburgstr. nach links und dann die Wiesenstr. Karl-Tauchnitzstr. brannten fast alle Villen. Die Lutherkirche brannte früh noch nicht, nachmittag ein Flammenmeer. Dass der Brand so ungeheure Ausmaße angenommen hat, lag wahrscheinlich daran, dass es kein Wasser mehr gab. Und in den meisten Häusern habe die Leute gar nicht versucht zu löschen. Pohls sind gestern früh in ihre Wohnung. Da haben sie Jehrings Ilsen mit ihrem Mann getroffen. Die haben erzählt, dass sie Klulsens (?) gerettet haben, indem sie bis Sonntagfrüh gelöscht haben. Das Haus hat wahrscheinlich nicht selbst Bomben bekommen, weil aber die ganze Gegend brannte, war die Gefahr gleich groß. Das Nachbarhaus wäre ganz niedergebrannt und sie haben die beinahe glühenden Wände immer wieder nass halten müssen. Und haben es geschafft. Das muss doch dann ein wunderbares Gefühl sein. Die Ausdauer hat sich gelohnt. Ob den jungen Leuten ihre Wohnung steht, wollten sie erst sehen. Hanna und Ilse sind gestern wegen ihrer Arbeit gegangen, Sie wollten eigentlich nachmittag alle herkommen, waren aber nicht da. Herr Pohl sagt, er hätte direkt gelacht, als er durch Ruinen der Zimmerstr, gegangen ist und in der Moritzstr. nach Steinbachs gesehen hat. Nicht eine Fensterscheibe ist kaputt gewesen, kein Schaden zu sehen. Ilse hat ihre Arbeit also noch. Hanna wird sich wohl woanders melden müssen. Die Adca (?)soll niedergebrannt sein, das ist nur vom Hörensagen. Möglich ist es, denn Herr Pohl sagt, dass auch die Deutsche Bank ausgebrannt ist. Die Steinquader stehen noch. Wie weit das Rathaus (neu) ausgebrannt ist, wissen wir noch nicht. Geraucht hat es gestern noch. Ich habe das alles nicht gesehen und würde Dir´s auch nicht schreiben, wenn Herr Pohl das nicht alle selbst gesehen hätte. Ich kann mir ja kein Bild davon machen. Wenn ich mir das vorstelle, dann denke ich, es war nur ein wüster Traum. Mir sind schon die Tränen gekommen, als ich die wenigen Verwüstungen in der Ringstr. gesehen habe. Es ist jedenfalls furchtbar. Die vielen Menschen, die nun kein Heim mehr haben. Was da an Werten vernichtet worden ist, ist nicht wieder zu ersetzen. Wir haben im Haus nun noch mehr Wasser bereitgestellt, wenn keine Sprengbombe das Haus trifft, wollen wir uns Mühe geben, zu löschen. Und du siehst ja an diesen Beispielen, dass immer noch etwas verschont wird. Wir werden dir immer sofort schreiben, damit du Bescheid weißt. Ich hoffe doch, dass du meine Briefe von gestern und vorgestern bekommen hast, damit du beruhigt warst. (Was mit dem Hauptbahnhof ist, weiß ich nicht) Post hat es bei uns nicht gegeben. Zeitungen gibt es nicht. Pohls bringen ihre Wohnung wieder in Ordnung. Jetzt sind sie noch bei uns. Am Donnerstag sind wir 10 Jahre verheiratet. In wollte dir gern etwas hübsches mit Römer mitschicken. Jetzt kann ich ja nur auch nicht backen, weil ich kein Gas habe. Und die Bäcker haben jetzt mit dem Brotbacken zu tun weil es ja in der Stadt selbst nichts mehr gibt. Denke an dem Tag wenigstens mal recht lieb an deine Frau. Und wieder ruht viele liebe Grüße und Busserl von deinen Beiden.

Pohl, Bernhard [Erwähnt],Tietze, Walter [Empfänger]

https://www.stadtmuseum.leipzig.de/document/objekt/Z0137112 (Digitalisat)

Material: Papier

Pfad: Sammlung Autographe Stadtgeschichtliches Museum <Leipzig>

DE-MUS-853418-Z0137112, http://kalliope-verbund.info/DE-MUS-853418-Z0137112

Synchronisierungsdatum: 2024-02-09T07:24:22+01:00