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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 176
Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 176
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
01.10.1914. - 8 Seiten, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Transkription: B.-Friedenau, 1. Oct. 14 Lieber Freund, Da ich so lange nichts von Euch gehört hatte so war ich eben im Begriff Dir zu schreiben, als Deine Karte kam. Du hast ganz recht – Angesichts dieser großen, gewaltigen, begeisternden, aber auch furchtbaren Ereignisse, - des Weltkriegs, der urplötzlich über uns hereingebrochen ist, verstummt man; der Einzelne kann hier nichts sagen, was nicht Tausend und Millionen schon gesagt und empfunden haben, und tagtäglich sagen und empfinden. Die Lage ist genau wie vor dem 7jährigen Krieg: Friedrich d. Gr. mußte gegen eine Welt von Feinden um die Existenz des damals noch so kleinen Preußen kämpfen – und wir müssen gleichfalls gegen die ganze Welt um Deutschlands Sein oder Nichtsein kämpfen. Der Unterschied ist nur, daß er, der große geniale Mensch, mit kühnem Entschluß seinen Feinden zuvorkam, während wir, in frommer moralischer Scheu vor einem „Präventionskrieg“ doch wohl allzu lange gewartet haben – was uns jetzt leider sehr viel Blut kostet. Wir haben viele Jahre lang ruhig zugesehen, wie sich unsere Feinde im Westen und im Osten immer stärker rüsteten, und trotz alledem wurde immer noch bei uns mit einer rührenden Ausdauer die Friedensschalmei geblasen – bis sie dann endlich alle die Maske abwarfen; was eben nun geleistet wird, gehört sicherlich zum Größten und Erhabensten, was je eine einzelne Nation geleistet hat! – Seit 14 Tagen rollen die Armeekoprs des trefflichen Hindenburg unablässig durch Schlesien nach Galizien; / was man hier schon durch private, sehr geheim gehaltene Mittheilungen aus Schles. wußte / Sie werden sich dort, als mächtige Helfer, ebenso bewähren, wie sie sich in Ostpreußen bewährt haben. Ein ausgezeichneter Stratege soll der General Ludendorf sein; um die schnelle u. überrasch. Eroberung von Lüttich soll er, neben Emmich, sich besonders verdient gemacht haben. Gleich darauf hat der Kaiser ihn, unter Verleihung des Pour le Mérite, nach Ostpreußen geschickt, wo er neben Hindenburg trefflich gewirkt hat, wie Gneisenau neben Blücher. Im Westen kommen wir jetzt nur langsam vorwärts, denn wir haben zu große Massen gegen uns. Der Kaiser soll, wie man hier aus guten Quellen hört, manchmal tief deprimirt sein durch unsere ungeheuren Verluste (namentlich an Officieren) u. will deshalb den Durchbruch durch die Franzosen nicht forciren. Schließlich werden wir ja wohl durchkommen – aber mit welchen Opfern!! Der Kaiser war im Geheimen überall – in Ostpreußen, in Wilhelmshaven etc. Das ist Thatsache – aber man durfte nicht davon sprechen / Jetzt ist er längst wieder in Frankreich- jedenfalls hinter Reims. / Gleich zu Anfang des Krieges wurde bei Oberhof i Th., (wo wir seit dem 25. Juni waren) Russische Spione festgenommen und erschossen, die den großen Oberhof-Tunnel sprengen wollten. Ueberhaupt wimmelte damals Thüringen von Spionen. Unseren lieben Jungen Ewald (genannt Waldi) konnten wir nicht mehr unsern Abschiedssegen mitgeben, denn es ging alles zu schnell, und es war damals keine Möglichkeit von Oberh. nach Berlin zu kommen. Schon am 5. Aug. verließ er, voll Zuversicht und glühender Begeisterung, mit dem Garde-Schützen-Bataillon Lichterfelde. Lange hatten wir dann nur kurze Karten von ihm, bis dann endlich rasch nach einander 2 Feldpostbriefe vom 15. Und 20. Sept. eintrafen.; ich lege sie in Abschrift bei, erbitte sie aber zurück, da auch Andere sie lesen möchten. Das Bataillon hat also am 8. Sept. 3/4 seines Bestandes, 900 Mann (!) verloren, auch Waldi’s Kompagnie existiert nicht mehr; er aber ist wie durch ein Wunder diesmal dem sicheren Tode entgangen. Heute kam wieder eine Karte; sie stehen jetzt in Reserven, ca. 30 km nördlich von Reims, u. hören nur von ferne den Kanonendonner. Er ist also nicht bei der unaufhörlich tobenden Entscheidungsschlacht – der größten, die seit Leipzig und der Schlacht auf „Catalaunischen Feldern“ gegen Attila, geschlagen worden ist! – Max Felix steht bis auf Weiteres bei s. hiesigen Landwehr-Regiment, und ist sogar zu dem kleinen, neugebildeten Reserve-Musik-Corps hinzugezogen worden. – Euer Sohn darf m. E. unter keinen Umständen mit; nach Allem was er durchgemacht hat, darf er sich schlechterdings den ungeheuren Strapazen dieses Feldzugs nicht aussetzen; er kann sie nicht aushalten und würde sich, auch wenn keine Kugel ihn trifft, ruiniren. Ich bitte Euch also dringend: Redet ihm das aus!! – Hier herrscht in den musikal. Kreisen ungeheures Elend; wohin man blickt, nur bedrohte oder zerstörte Existenzen. Es geschieht zwar viel zur Linderung der großen Noth, aber noch immer nicht genug! – Leb wohl und sei mit den Deinen herzlichst gegrüßt. Stets Dein M. Bruch (nicht mehr Englischer Dr.!)Hindenburg, Paul von (1847-1934) [Erwähnt], Ludendorff, Erich (1865-1937) [Erwähnt], Emmich, Otto (1848-1915) [Erwähnt], Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser (1859-1941) [Erwähnt], Bruch, Ewald (1890-) [Erwähnt], Bruch, Max Felix (1884-1943) [Erwähnt], Rudorff, Hermann (1877-1916) [Erwähnt]
Bemerkung: Max Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4304503, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4304503
Erfassung: 21. November 2025 ; Modifikation: 21. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-21T12:55:45+01:00
