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Brief von Erich Mendelsohn an Luise Mendelsohn, 16.08.1910 Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek Erich Mendelsohn Archiv Signatur: E.M.-Archiv Briefe 1,1
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Brief von Erich Mendelsohn an Luise Mendelsohn, 16.08.1910 Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek ; Erich Mendelsohn Archiv
Signatur: E.M.-Archiv Briefe 1,1
Mendelsohn, Erich (1887-1953) [Verfasser], Mendelsohn, Luise (1894-1980) [Adressat]
Allenstein, 16.08.1910. - 2 Blatt, Maße: 20,0 x 29,9 cm, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: (fptr="emaem_19100816_001_tb-01_r._lt01.jpg") http://media.digitale-galerie.de/kb-ema/emaem_19100816_001_tb-01_r.jpg 16.VIII.10 Sehr wertes Fräulein Luisel! Sie werden sich bewußt sein, daß jede Kunstleistung der Ausfluß des persönlichen rythmischen Ge- fühls ist. Je mehr der Leistende, also der Künstler die bei der Leistung zu gebrauchenden Werte - vorausgesetzt natürlich, er hat alle nötigen Werte, ideelle und handwerksmäßige, beisammen - gegeneinander abzutönen ver- steht, je mehr er sie alle unterein- ander abwägt und dem gebührendsten Platz zuweist,um so vollendeter gibt sich das fertige Werk dem erfassenden Sinn. (fptr="emaem_19100816_002_tb-01_v._lt02.jpg") Eben dadurch, daß der Genießende, als feinfühlende Seele gedacht, sofort den Rhythmus erfaßt, den der Künstler seinem Werk als seinem geistigen Kinde mitge- geben hat. Der Rhythmus aber allein ist es, der den Kunstwert schafft. Denn unter Kunstwert verste- he ich das Hochmaß[Wortverwechselungszeichen] nicht verwen- deter technischer Fähigkeiten, son- dern die Menge des Wiederer- kennens der von edel rhythmischen Empfindungen begeisterten Per- sönlichkeit des Künstlers. Nehmen Sie irgendein Kunst- werk, Gattung ist unwichtig, das Sie (fptr="emaem_19100816_002_tb-01_v._lt03.jpg") aus eigenem Empfinden heraus als solches erfühlen, und fragen Sie sich, weshalb das so ist, dann werden Sie sehen, daß nicht der Inhalt, also der Gedanke, nicht die äußere Technik der Verarbei- tung Ihnen diese hohe Meinung geben, sondern daß allein die Menge des umfassenden Rhythmus, d. h. heißt die Art, wie jedes einzelne Glied, wie ein Ton sich dem anderen, eine Linie, ein Farbfleck sich dem Ganzen bei= und unterordnet, uns diese hohe Vorstellung, dies stillheili- ge Mitempfinden ablockt. Indem ich aber Sie mir als eine (fptr="emaem_19100816_001_tb-01_r._lt04.jpg") rhythmisch fühlende und erken- nende Seele vorstellen muß, kann ich es nie als wahr und abgemacht hinnehmen, daß Sie das Meer als monotonen Klang empfinden und es in Ihrer Wert- schätzung hinter die Berge stellen. Ich nehme an, daß Sie noch nie al- lein bei ihm waren. Denn nur so will es gehört werden, nur so läßt es stille Sinne ein wenig von dem ahnen, was als Urge- staltungskräfte, als geheim we- bende Mächte in ihm singt und rauscht. Sahen Sie schon das ferne Zittern, das aus dem Unendlichen [Wortvertauschzeichen]scheinbar herkommende (fptr="emaem_19100816_003_tb-02_r._lt05.jpg") Tanzspiel der Wellen weit hinten am Horizont, schon das Grei- fen der großen Wellenkinder nach den tiefhängenden Wolken, nach dem lichten Blau des Himmels, das dumpf grollende Suchen der Täler nach dem Meeresboden, sahen Sie schon die Schaumkönige aufjauchzen und von jubelndem Tron herabdonnern auf den hellen Strand, hörten Sie schon das wehe Klagen der geborstenen Größe hin zu Ihren Füßen wie das Verrin- nen friedloser Wünsche? Ist der Rythmus selbst der freiesten schaffenden Seele nicht ein Winziges nur von der wogen- den (fptr="emaem_19100816_004_tb-02_v._lt06.jpg") Größe des Meeres? Sie hörten das Meer noch nie allein, wie wollten Sie dann sagen es wäre ohne Tonbewe- gung, ohne Rhythmischen Klang. Was ich Ihnen erzählte, war nur ein Abbild der Bewe- gung - und alle Bilder der Farbe und alle Akkorde der Klänge, wohin damit? Nur in der Bewegung liegt end- loser Reiz, nicht aber in dem Starrsinn der Berge. Ich liebe die Berge als einsame Majestät und alles Geringe wird hoch hin zu ihrer Höhe. Stille, demü- tige Gedanken gibt es mir, viel Niederknien (fptr="emaem_19100816_004_tb-02_v._lt07.jpg") und Ahnen eines allmächti- gen Schicksals - ich liebe das Meer als majestä- tische Einsamkeit und alles Nahe wird fern hin zu seiner Weite, jauchzende, schaffende Gedanken gibt es mir, Seelen- glut und Ahnen ersehnter Größe. Als wir uns trafen, gab es einen Klang, den Zusam- menklang zweier suchenden, strebenden Menschen. Wir fühlten, dass wir Freunde wür- den. Müssen Sie da nicht wünschen, daß ich Ihnen gebe, was mein Bestes ist und (fptr="emaem_19100816_003_tb-02_r._lt08.jpg") und muss ich nicht solches von Ihnen erwarten? Mir ist es ein Heiliges darum und auf dem Altar opfert man die besten Gewürze. Erich Mendelsohn Ich darf Sie wohl bitten, mir mit- zutei1en, ob Ihre zu verehrende Frau Mutter unsere Korrespondenz gestattet, da es mir sehr leid tun würde, wenn Sie Unannehmlichkeiten hätten. Adresse: z. Zt. Allenstein O/Pr. Oberstr. 21.Literaturhinweise: Heinze-Greenberg, Ita & Stephan, Regina: Luise und Erich Mendelsohn. Eine Partnerschaft für die Kunst, Ostfildern-Ruit 2004
http://media.digitale-galerie.de/kb-ema/emaem_19100816_001_tb-01_r.jpg http://media.digitale-galerie.de/kb-ema/emaem_19100816_002_tb-01_v.jpg http://media.digitale-galerie.de/kb-ema/emaem_19100816_003_tb-02_r.jpg http://media.digitale-galerie.de/kb-ema/emaem_19100816_004_tb-02_v.jpg
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Erich Mendelsohn Archiv / 01. Korrespondenzen
DE-611-HS-1715175, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-1715175
Erfassung: 29. November 2010 ; Modifikation: 9. Februar 2011 ; Synchronisierungsdatum: 2025-05-22T13:56:20+01:00