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Brief von Walter Kruse an Ministerium für Volksbildung (Dresden), 20.07.1934 Universitätsbibliothek Leipzig Nachlass Arthur Seitz Signatur: NL 333/1/Nr. 38
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Brief von Walter Kruse an Ministerium für Volksbildung (Dresden), 20.07.1934 Universitätsbibliothek Leipzig ; Nachlass Arthur Seitz
Signatur: NL 333/1/Nr. 38
Kruse, Walter (1864-1943) [Verfasser], Ministerium für Volksbildung (Dresden) [Adressat]
Leipzig, 20.07.1934. - 1 Bl. (2 hs. S.), Deutsch. - Brief, Entwurf
Inhaltsangabe: Prof. Kruse berichtet dem Ministerium über die unglückselige Berufung von Prof. Dresel. Die medizinische Fakultät ist durch das Vorgehen des Dekans Prof. Oskar Gros nicht nur blamiert worden, sondern wird in seiner Forschung geschädigt. Die Theorie Dresels von den "gelben Typhusbazillen" sei keine einmalige Entgleisung. Die "Schlüsse" die Dresel daraus zieht stellen die ganze Wissenschaft auf den Kopf. Es wird ihm ein hohes Maß an Kritiklosigkeit und mangelhafte Methodik vorgeworfen, weshalb er auch als problematisch für den Umgang mit Studenten, Doktoranden und Assistenten angesehen wird. Obwohl Kruse meint, dass das Unglück der falschen Besetzung kaum mehr rückgängig zu machen ist, hätte er sich nicht an das Ministerium gewandt, wenn nicht Dresel durch seine Handlungen und offen ausgesprochenen Absichten aus dem hoch angesehen Institut eine "Wüste" machen würde. Dem Rektor, dem Dekan und Prof. Knick ist die Sachlage geschildert worden und man hat wenigsten z.T. dem Ministerium darüber berichtet. Kruse ist aber der Überzeugung, dass er die wichtigsten Punkte selbst noch einmal vortragen sollte. Er ist sich bewußt, dass er sich damit gewissen neuen Strömungen in der Hochschulverwaltung entgegenstellt, seine 40jährige Erfahrungen aber von Nutzen sein könnten. Für sich selbst will er nichts mehr erreichen. Es folgt eine umfassende Versicherung, dass er persönlich sich nicht über Dresel beklagen kann. Alle Zusagen(Labor, Mittel und Mitarbeiter des Instituts) wurden eingehalten. Er ist nur enttäuscht, dass Dresel in der ganzen Zeit nicht seinen Rat in Anspruch genommen hat, obwohl er ursprünglich ihn darum gebeten hatte. Kruse hat sich nicht mehr in den Institutsbetrieb eingemischt, konnte aber nicht verhindern, dass seine früheren Institutsmitglieder ihn um Rat und Hilfe gebeten haben. Er hat ihnen aber immer geraten, sich mit Dresel gut zu stellen, wie es ihnen eben möglich ist. Unwahr ist, dass der neuen Direktor boykottiert worden sei. Im Gegenteil ist man ihm von Anfang an mit allen Mitteln entgegen gekommen. Trotzdem habe er aus unerfindlichen Gründen den beiden tüchtigsten Laborantinnen gekündigt. Der seit 13 Jahren dort beschäftigte Assistent Max Fischer [?], der mit seiner Habilitation befaßt war und einen wichtgen Posten in der Partei bekleidete, wurde durch das eindeutige Verhalten von Dresel gezwungen, seine wissenschaftliche Laufbahn aufzugeben und eine Stelle als Stadtarzt in Leipzig anzunehmen. Gekündigt wurde auch dem jüngsten Assistenten Dr. Backhaus (der aber auch schon vier Jahre am Institut war), weil er angeblich nicht als Dozent geeignet sei. Den beiden ältesten Assistenten Dr. Trautmann (?) und Prof. Seitz wurde das gleiche Schicksal angedroht. Trautmann kann noch so lange bleiben bis er einen neu eingestellten jungen Assistenten soweit eingedrillt hat, dass er ihn vielleicht als Vorsteher des Untersuchungsamtes ersetzen kann. Seitz ist seit 15 Jahren außerordentlicher Professor und stand schon 4 x auf der Berufungsliste zum Ordinarius und wurde schon vor Jahren einstimmig von der Leipziger Fakultät dem Minister zur Ernennung vorgeschlagen. Den Ruf als wissenschaftlicher Direktor des Hygiene-Museums hat er abgelehnt,da er bei der akademischen Laufbahn bleiben wollte. Er sei als Ordinarius viel mehr geeignet als Dresel. Seitz sei aber bei einigen Leuten, wie dem "verflossenen rötlichen" Ministerialreferenten Dr. Uhlig, wegen seiner ausgesprochenen nationalen Gesinnung und seines Antisemitismus nicht beliebt. Er ist aber dem Institut noch unentbehrlicher als Trautmann,weil er den gesamten Unterricht für die Studenten der Zahnheilkunde und die Gewerbehygienische Abteilung leitet. Dresel möchte ihn aber nicht ganz so schnell beseitigen, weil er erst einen Ersatz für ihn haben muss. Deshalb soll er nicht zum 1. Januar 1935 sondern erst in zwei Jahren gehen. Der an Jahren älteste Assistent Prof. Kurt Hintze geht zum September ab, weil er dann die Altersgrenze erreicht hat. Mit der jetzt erfolgten Herausgabe seines Buches "Geographie und Geschichte der Ernährung" hat er bewiesen, dass er geistig auf der Höhe seiner Zeit ist. Da er lange im Ausland, v.a. in den Kolonien als Regierungsarzt gearbeitet hatte und im Weltkrieg zu Kruse kam, als alle anderen Assistenten im Feld standen,hat er erst spät sich habilitiert. Er wurde zu einer Stütze des Instituts. Dies bedeutet, dass das Hygiene-Institut bald ohne bewährte Hilfskräfte dastehen wird. Es wird sehr schwer werden die Stellen wieder zu besetzen, und es wird Jahre dauern, bis die Neuen wieder Stützen des Instituts sind. So ein großes Institut braucht aber gute Assistenten. Da man das akademische Personal verjüngen und alle die das Ziel Ordinarius nicht erreichen können ausmerzen will, wird sich der Nachwuchs sichere Felder suchen. Da die akademische Laufbahn grosse Opfer erfordert, wird man dorthin gehen wo es genug Stellen gibt. Allerdings ist dies für den Hygieniker nur im beschränktem Maße der Fall. Besonders der Fall Seitz bezeugt dies, und es ist die Frage warum er nicht Ordinarius geworden ist. Es besteht die Gefahr, dass fähige Männer nur weil sie über fünfzig Jahre alt sind auf der Strasse landen. Für Kruse gibt die Berufung von Dresel zu denken, und er hält es für eine Ironie des Schicksals, dass Männer die früher unter ihrer nationalen Gesinnung zu leiden hatte, unter der nationalsozialsitischen Regierung noch schlechter fahren.Bemerkung: keine
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Nachlass Arthur Seitz
DE-611-HS-3051759, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-3051759
Erfassung: 4. Oktober 2016 ; Modifikation: 30. November 2016 ; Synchronisierungsdatum: 2025-05-22T15:43:05+01:00