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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 390

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 390


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

Sondershausen, 11.06.1870. - 8 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: MB hat am Pfingstsonntag in Sondershausen gekündigt: „Künstlerthum und Büreaukratenthum mußten einmal auseinanderplatzen. ... Als hierher kam, erkannte ich bald, daß der Einfluß der Princeß Elisabeth gebrochen sei, daß sie nicht mehr lange im Stande sein würde, mir die exceptionelle Stellung, welche ich hier seit Januar 1869 einnahm, zu erhalten. Meine Proposition (mit der Hälfte des jetzigen Gehaltes eine Componisten-Stellung zum Hofe einzunehmen, dazu die Leitung aller Hofconcerte und die Oberleitung alle Capell-Angelegenheiten zu behalten etc.) wurde abgelehnt, nicht von der Princeß, aber vom Minister.“Der Minister kündigt zugleich die Rückkehr zu den ursprünglichen Verpflichtungen von 1867 an: „ich müßte Alles übernehmen, auch das fauliche Theater (wandernde Schauspiel-Gesellschaft, die für 3 Monate engagirt wird!) und könnte dann allenfalls hin und wieder einmal 14 Tage fortgehen“ obwohl mit Rakemann auch eine Dirigent für das Theater vorhanden ist: „man wollte mich jetzt beseitigen, weil mein exceptionelles Dienstverhältnis längst allen Schranzen ein Dorn im Auge gewesen war.“MB „kam zu dem Resultat, daß ich ruhig und unbedeutlich die unhaltbar gewordene Stellung (die mir doch bloß 800 THlr. einbrachte) aufgeben und vorerst als Autor leben könne. Es ist freilich keine Kleinigkeit, die Production auch vor der Welt, durch Aufgeben einer festen Stellung zum Schwerpunct der Existenz zu machen; aber ich meine, wem Kraft und Lust zu schaffen ohnehin den Sinn ganz erfüllen, der braucht sich auch nicht zu fürchten, vor aller Welt zu gestehen, daß ihm dies die Hauptsache sei, daß er dies für seinen Beruf halte, und nicht etwa die Kapellmeisterei.“ MB ist glücklich über die erworbenen Erfahrungen und Kapellmeisterfähigkeiten, „an und für sich aber hat das Kapellmeistern, nachdem ich es 5 Jahre getrieben (seit 1865) keinen Reiz mehr für mich; und nöthig habe ich es ja auch eigentlich nicht mehr. Sondershausen hat mir geliefert, was es sollte; als ich im Frühjahr 1867 nach langem Kampfe mich entschloß, ein Nest mit dem andern, Coblenz mit Sondersh. zu vertauschen, entschied die Erwägung, daß ich mir dort am Besten vollständige Orchester – und Theaterkenntniß erwerben könne; Beides war mir ungeheuer wichtig, und so setzte ich mich denn in diese Einsamkeit, litt Anfangs unter dem unerträglichen kleinstädtischen Zuschnitt der Geselligkeit, zog mich dann ganz auf mich selbst zurück, war glücklich, zu lernen, und erreichte dann auch 1869 ein bedeutendes Maß an Freiheit. Könnten reguläre Hofbeamte, vergilbte Staatsräthe, eingeschrumpfte Minister, vertrocknete Excellenzen, andere als reguläre Verhältnisse verstehen, so hätte ich möglichweise meine Stellung, die ja so viel Angenehmes bot, noch eine Zeitlang beibehalten können; - aber nach den letzten Eröffnungen des herrn von Keyser war es für mich eine Ehrensache, mein Entlassungsgesuch einzureichen. Ich dirigire am 4. Sept. das letzte Concert. Im Juli gehe ich (leider!) auf 8-14 Tage nach Bremen, zum Frithjof; Mitte August besucht mich meine Schwester, am 5. Sept. reisen wir zusammen nach Bonn zum Beethoven-Fest, wo ich Dich und Joachim zu sehen hoffe. Sept. bleibe ich bei Heimendahl in Godesberg, im Oct. komme ich dann wohl nach Berlin für einige Monate. Ich behalte vorläufig das Zimmer Seegerhofstr.; bleibe ich aber ganz in Berlin, (d.h. die 6 Wintermonate), so nehme ich ein geräumigeres Quartier, lasse meine nicht ganz unbeachtliche Bibliothek nachkommen, und versuche mir einen Schimmer von häuslichem Behagen zu verschaffen. Vielleicht mache ich es aber ganz anders; immer wieder taucht die tolle Idee auf, seinige Wintermonate, fern vom gewohnten Getriebe der deutschen „Concertsaison“, fern von allen Concertsälen und den vielen unerquicklichen deutschen Musikanten, denen man leider überall begegnet - im Süden, z. B. am Genfersee, zu leben, und Hermione fertig zu machen. Vor Dec. würde ich indessen Deutschland nicht verlassen, da ich vor längerer Abwesenheit Joachim und Dich und die nächsten Freunde noch so recht genießen möchte. An Hermione ist noch garn nichts geschehen; es ist seltsam, aber ich muß vorher noch verschiedenes Anderes mir vom Halse geschafft haben, sogar lyrisches Zeug. Auch der Plan zur III. Sinf. läßt mir keine Ruhe. Was aus hier wird, das ist einstweilen sehr unbestimmt. Rakemann (der übrigens nicht das mindeste gegen mich gethan hat, das muß ich ausdrücklich hinzufügen) erwartet, einfach in meine Stellung einzurücken. Der Hof und die Schranzen sind aber wie es scheint, darin einig, ihn nicht zum Ersten zu machen, sondern einen neuen Capellmeister, ein Mädchen vor Allens, zu berufen. Natürlich müßte R. dann gehen; da er bisher seine Sache sehr gut gemacht hat, so darf er einige Berücksichtigung verlangen. Vederemo! – Grüße Joachim sehr herzlich und theile ihm den vollen Inhalt dieses Briefes mit. Ich werde ihm jetzt sehr bald schreiben. Die Sinfonie habe ich in 5 Proben gehört, und sende sie morgen zum Stich ab. Es scheint mir, daß jetzt alles so klingt wie beabsichtigt. Verzeih mein Liebr, daß ich heute so sehr von meinen Angelegenheiten rede. Ich hoffe sehr bald von Dir zu hören, was Du treibst, was Deine Orchesterstücke machen, wann Du hierherkommst und sie mitbringst, und wie es Deinem Vater geht! Das liegt mir sehr am Herzen.“ [Grüße]Du warst in Weimar - wie kommst Du, Prophet, unter diese Säulen? Heckmann schrieb, er habe dich dort gesprochen. Ich war nur 12 Stunden da, habe meinen officiellen Auftrag ausgerichtet, und bin dann abgereist nach Thüringen, Friedrichroda, Ruhla, wo es sehr himmlisch war. Jetzt habe ich ein Berghäuschen gemietht für den ganzen Sommer mit Tannen- Allee, Baumgarten, herrlicher Aussicht für 16 Thlr.! – ich sage Dir raizend, raizend [sic]! – Hier bin ich ganze Tage, es arbeitet sich so gut, als wenn man Sondersh. nicht sähe. Komm, komm, komm! Du wirst doch nicht ein solcher Unmensch sein und mich den letzten Sommer hier nicht besuchen? Schreib mir, wann Du kommst. Schreib viel, schreib alles Mögliche und Unmögliche. Und sei 1000 mal gegrüßt von Deinem getreuen Max Bruch.

Joachim, Joseph (1831-1907) [Erwähnt],Rakemann, L. [vermutlich] [Erwähnt],Heckmann, Robert (1848-1891) [Erwähnt],Elisabeth, Schwarzburg-Sondershausen, Prinzessin (1829-1893) [Erwähnt]

Loh-Orchester Sondershausen (1801-1991) [Behandelt]

Bemerkung: Max Bruch

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4308452, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4308452

Erfassung: 11. Dezember 2025 ; Modifikation: 11. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-11T15:35:40+01:00