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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 398

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 398


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

Sondershausen, 25.09.1870. - 7 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: Heftiger Streit zwischen MB und Spitta wegen einer möglichen Berufung von ER nach SondershausenBeiliegend, liebster Rudorff, sende ich Dir einen höchst merkwürdigen Schreibebrief, welchen Herr Dr. Spitta sich gemüßigt gesehen hat, an mich zu erlassen. [Hier nicht beiliegend] Nach seiner Ansicht „drängte ich mich eilfertig in die erste Reihe und suchte hinter seinem Rücken die Sache zu erledigen“ – nicht hübsch, nicht wahr? Während ich, soviel ich weiß, in dieser Sache von jeher naturgemäß in der „ersten Reihe“ gestanden habe, - denn Du stehst mir doch viel näher, als Du Spitta stehst, und ich kann meinen Freunden, wie Spitta nicht das Recht zu gestehen, in der Angelegenheit meines nächsten Freundes mehr zu thun als ich. Die ganze Sache giebt wieder Zeugnis von einer unglaublichen Steiffheit – was hätte ihm näher gelegen, als nachdem ihm Princeß durch seine Frau (die ihr Besuch machte), den sehr überflüssigen Auftrag gegeben hatte, bei Dir anzufragen, ob Du seist, die Stelle anzunehmen, - ich sage, was hätte da näher gelegebm als vom Gymnasium aus die zwei Schritte zu mir zu kommen, und mir, Deinem hiesigen speciellen und nächsten Freunde, der die Sache eben zuerst zur Sprache gebracht hatte, Mittheilung von dem Princeßlichen Auftrag zu machen! – Doch, auch das hätte ich ja nicht einmal verlangt. Aber ich hatte Dir versprochen, mir eine Audienz bei Princeß in Deiner Angelegenheit zu erwirken; hatte ich nun irgendwie nöthig, mir dazu die vorherige Erlaubniß Sr. Majestät des Dr. Spitta, eingetrockneten Bücherwurmes I. Classe mit Eichenlaub, vom Schreibtisch aus Orakler, einzuholen? - Alles nun aber nichts, wenn er mir nicht die wahrhaft verpönende, abscheuliche, gemeine Beschuldigung in‘s Gesicht schleuderte, ich habe wohl gefürchtet, daß seine Mittheilungen ungünstiger ausfallen möchten, als es dem Interesse förderlich seu, welches ich an Deiner Hierherberufung haben möge. Du weißt also nun, daß ich, indem ich von Herzen und so dringend als möglich wünsche, Dir einen zusagengen Wirkungskreis zu verschaffen, in dem Du aufathmen könntest, in dem Du noch manche neue Anschauungen gewinne und künstlerisch aufs schönste wirksam würdest – daß ich dabei nach Dr. Spittas Ansicht Hintergedanken und eigennützige Pläne verfolge! – Freilich, Du würdest mir unter allen Umständen hier ein lieber und, sagen wir’s nur, der einzige Anziehungspunct sein, u. daß ich meine schöne Capelle lieber unter einem guten als unter einem schlechten Künstler sehen würde, das ist wohl kein Verbrechen! – Schließlich macht sich noch der Mensch, der in der That in einem Stadium der Verrücktheit angekommen scheint, zum willigen Organ hiesigen Klatsches, dem er doch früher fern stand, beschuldigt mich frischweg, bei Hofe Pfingsten andere Propositionen vorgelegt zu haben, als ich ihm gesagt hatte! – Ich habe ihm einfach geantwortet, wer ihm das gesagt habe, der sei ein Lügner. – Ich habe ihm auf alles gestern Abend gebührend, in voller Uebereinstimmung mit meiner Schwester, geantwortet, und ihm gesagt, nach solchen Kränkungen sein fernerer Verkehr unmöglich. Auch habe ich ihm geschrieben, ich würde Dir seinen Absagebrief mittheilen. – Es ist weiß Gott keine kleine Sache, einen Menschen aufgeben zu müssen, dem man geglaubt hat, nahe zu stehen. Aber mit einem Menschen, dessen Seele aus Kleinlichkeit, Argwohn, und Pedanterie zusammengesetzt ist, der mir vorwirft, aus Interesse die Berufung eines nahen Freundes zu befürworten, kann ich kein Verhältnis haben. – Auch Du wirst nie einen engeren Verkehr mit ihm haben können. Du solltest Dich auch zurückziehen von ihm. Was nun wird, weiß der Teufel. Déplaciert würdest Du hier sein, das ist sicher, - u. ob Princeß es durchsetzen kann? Und auf einen Menschen von Spittas Hartköpfigkeit, die sich von Jahr zu Jahr steigern muß, zunächst angewiesen zu sein, ja, ausschließlich angewiesen zu sein! – Ich wollte, ich wüßte irgend eine andere hübsche Stellung für Dich. Dann dürfte von diesem Nest, mit seinen elenden im Staube herab... Menschen nie mehr die Rede sein. Hinter mir und meiner Schwester versinkt Sondershausen. Uebrigens habe ich das bestimmte Gefühl, daß der Einfluß, dem Spitta eine Zeitlang auf mich hatte, ein zu starker geworden war; wie von einem Alp befreit, athme ich auf! – Und zwischen all den Dummheiten soll nun ein reines Kunstwerk zu Stande kommen, - wie sollen alle geistigen Kräfte harmonisch zu dem einen Zweck zusammenwirken? Ach! - Welch ein Jammer! - Wäre nicht meine Schwester bei mir, es sähe schlecht aus. Sie theilt mein Empfinden ganz. Für heute leb wohl, mein Lieber! Herzlichst Dein Max Bruch. 25.9.70P.S. Da die von Princeß gewünschte Heimlichkeit mir im höchsten Grade widerstrebte, und auch sowohl der Sache als auch mir eher schaden als nützen konnte, so habe ich heute nach Tisch Rakemann die Mittheilung von Deinen Absichten und der bevorstehenden Eingabe gemacht. Er benahm sich sehr gut, ganz nobel, sagte aber, daß er, falls die Wahl auf Dich fiele, keinesfalls als Zweiter bleiben könne. Ich rathe nun Deine Eingabe sogleich abzusenden. Was nun wird, das wissen die Götter. Addio mein Liebster, Welch ein Glück, daß Du anders geraten bist als Spitta. – Heute schreibt R. sein Gesuch, morgen (Montag) giebt er es ein.

Spitta, Philipp (1841-1894) [Erwähnt],Elisabeth, Schwarzburg-Sondershausen, Prinzessin (1829-1893) [Erwähnt],Rakemann, L. [vermutlich] [Erwähnt]

Loh-Orchester Sondershausen (1801-1991) [Behandelt]

Bemerkung: Max Bruchschreibebrief: geschriebener brief, burschikose bezeichnung eines in gemessenem oder mahnendem tone abgefaszten briefes. (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. IX (1899), Sp. 1688, Z. 54.

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4308517, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4308517

Erfassung: 11. Dezember 2025 ; Modifikation: 11. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-11T13:53:57+01:00