Detailed Information
Brief von Mathilde Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 404
Functions
Brief von Mathilde Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 404
Bruch, Mathilde [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
Köln, 13.10.1870. - 8 Seiten, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Lieber Herr Rudorff! Gestern Abend bin ich, noch halb krank, von Herzb. hier angekommen und saß eben, noch mit der Ergriffenheit u. Aufregung kämpfend, die mir Ihr Brief vom 6ten Okt. verursachte, am Schreibtisch, um aus sehr viel Material einen ungeheuer langen Brief an Sie zu arbeiten, kann ich wohl sehen. – (leitende Idee, daß ich jetzt nichts thun kann und sehr unglücklich bin, daß Sie das Gegentheil zu verlangen scheinen und ein furchtbares Gesicht dazu machen). Da kommt aber ein rettender Fingerz. ins Zimmer geflogen, das ist Ihr Brief von gestern! Nun geht das Antworten auf einmal ganz gut, da ich weiß, wir stehen auf demselben Boden. Einiges von meinem gestern im Coupè so schmerzlich durchgearbeiteten Ideen kann ich Ihnen aber doch nicht ersparen und vor Allem muß ich Ihnen einige Standpuncte mittheilen, die, wenn Sie zu Spittas Kenntniß kommen, gewiß viel dazu beitragen würden, seine Stimmung zu mildern. Max gerieth nämlich nach dem Empfang jenes verhängnisvollen Briefes in einem Zustand, in dem der leidenschaftliche Ausbruch die allein mögliche und ungewiße Rettung schien. Furchtbare Kopfschmerzen, die er sonst niemals hat, konnte ich nur einer starken Verreizung zuschreiben, die aus Erschöpfung und so angestrengten geistigen Arbeiten und dieser überaus starken Gemüthsverengung hervorgingen, und nach meiner Überzeugung, ganz gewiß eine schlimme Wendung genommen hätten, wenn man da hätte irgendwie hätte einschreiten wollen. Den anderen Tag kam es erst recht mit der Todes-Angst über mich: Er hatte nur den einen Gedanken „fort aus dieser Luft“, war aber still und matt und zu jedem Denken und Entschließen unfähig, so daß ich Alles für ihn besorgen mußte. Als wir nun endlich im Harz waren, u. den Ravensberg hinaufgingen, machte ich die Wahrnehmung, daß sein Gedächtniß ihm nicht mehr geriete – dieses sonst so ...stete Gedächtniß. Ihn selbst hat dies in die nächste Verwirrung gestürzt, wie er mir später sagte. Gott sei Dank, daß die heilende Kraft der Natur sich hier so bald erwies, aber ich meine ich hätte ... Tod gespürt. Sie werden jetzt gewiß über die unglaublich starken Ausdrücke anders denken. Er hat sie mir alle vorgelesen; ich versuchte einiges zu cassiren, stand aber bald davon ab und muß auch sagen: Hätten Sie ihn dabei gesehen und gehört, Sie hätten zugegeben, daß Alles aus einer zwar maßlosen aber grundedlen Leidenschaftlichkeit hervorging. Ich meine, so sehr wie Spittas Beidigungen verschärft werden durch die knappe ... Art mit der er sie anbringt, so sehr müssen die größeren, von Maxens Seite gemildert erscheinen durch die fürchter. Heftigkeit mit der Empfindung, aus der sie hervorwachsen. Was Sie mir aus Spittas Brief mittheilen, ist mir sicherl. werthvoll und ich hoffe es zu benutzen, wenn auch nicht jetzt – darüber sind wir zu einig. Die schöne Mission, die Sie mir ertheilen, nehme ich von Herzen an; Sie müssen aber Ihr Vertrauen so weit treiben, daß Sie mir erlauben, auf meine Weise das Ding anzufassen. Max ist eine tief sittliche Natur und wird zur Klarheit kommen, aber auf seine besondere Art: Zusprechen u. Hernehmen hilft nichts bei ihm, wie bei vielen anderen Menschen w.z.B. bei mir! Haben Sie sich doch das Verdienst erworben – wofür ich Ihnen von Herzen danke – mir Spittas Bild wieder hergestellt zu haben; denn es war doch wohl Selbstbetrug, wenn ich Ihnen neulich weismachte, so vollständig über der Sache zu stehen. Ich hatte mich doch hineinziehen lassen und war verstimmt gegen ihn. Nun aber habe ich mich daran erinnern müssen, wie gern ich ihn doch gemocht hatte. Und wie lieb hatte ich es manchmal empfunden, daß er „kein Fuchs ist“; das ist doch wohl der richtige Ausdruck, nicht?! - Aus all diesem ist mir übrigens der lebhafte Wunsch hervorgegangen, mit Max ganz zusammenzusein; dann könnte ich wirken und leisten, ehe es zu späte ist; - vielleicht würde meine Kunst dazu ausreichen. Immer deutlicher u. deutlicher fühlt man zwar, wie man an den Aufgaben die das Leben stellt heranwächst, - aber immer auch stellt sich wieder ... , der man nicht gewachsen ist; da giebt’s dann Umwege die Menge - wenn sie schließlich zum Ziel führen, so ist das ein Geschenk von oben. Daß Sie mir geschrieben haben, weiß Max nun doch, denn der Brief wurde mir nachgeschickt; er verlangt aber, daß ich ihn uneröffnet mitnehme, weil er durchaus von der Sache mithören möchte. Seien Sie ihm nicht bös, wenn er ein vermutliches Wort in diesem Sinne an Sie geschrieben – doch Beweis ist, den Freund Rudorff darum zu bitten? Lassen Sie auch die Korrespondenz nicht einschlafen; schreiben Sie ihm über Anderes, denn es ist ihm immer so wohltuend von Ihnen zu hören. Er hat mir gerade bei diesem Anlaß wieder gesagt, wie beglückend ihm das Verhältnis zu Ihnen ist. Daß es die Schwester noch neulich zu S[sondershausen]. mit einer Mischung von .. und Jubel erfüllte, kann dann noch hier stehen, wo schon so Vieles steht. Haben Sie tausendfachen Dank für all Ihre Treue – und für die Opfer, die Sie der Sache gebracht haben – und doch möchte ich fast sagen, ich fürchte, es sind nicht die letzten Opfer, die wir gegenseitig einander bringen oder denn zu bringen bereit sind. Und Cöln? Und Gernsheim? Haben Sie nicht die erste Aufforderung in der K. Z. [Kölner Zeitung] gelesen, unterzeichnet: Das Comité, Fanni Dechant, Heidestett, Fr. v. Königslöw, Theodo.. Schmidt, Bitter, Julius DuMont, Steinberger. Mit der Elite der Elite führt der kleine kluge Mann Brahms auf. Gesehen habe ich hier natürlich noch Niemand; ich muß auch noch ein paar Tage Ruhe halten, bevor der ganze Schwall von Einzug, Stunden, Besuchen, etc. über mich herein bricht. Ich weiß nicht, ob der Brief vielleicht wegen kriegerlicher Angegriffenheit nicht recht bei Trost erscheint, - in dem Fall bitte ich sehr um Entschuldigung! Schlecht und unleserlich geschrieben ist er jedenfalls! – Mir aber ist seit heute Morgen ein gut Theil leichter ums Herz, und ich lebe der ... Zuversicht, daß Alles noch wieder gut wird. Ich will dazu thun, was irgend in meinen Kräften steht. Mit herzlichstem Lebewohl in aufrichtigster Freundschaft Ihre Mathilde BruchSpitta, Philipp (1841-1894) [Erwähnt], Gernsheim, Friedrich (1839-1916) [Erwähnt], Königslöw, Otto Friedrich von (1824-1898) [Erwähnt], Schmidt, Theodor (1840-1913) [vermutlich] [Erwähnt], Dumont, Julius [vermutlich] [Erwähnt]
Bemerkung: Mathilde Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4308621, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4308621
Erfassung: 11. Dezember 2025 ; Modifikation: 11. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-11T15:13:18+01:00
