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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 435
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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 435
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
Bonn, 10.02.1874. - 9 Seiten, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Transkription: Lieber Freund, Die Romanze hat am 7. im höflichen Geleit von Dichter, Schäferin, muthigen Rittern und zarten Mädchen ihren Einzug in den Barmer Concertsaal gehalten. Obgleich die Vorbereitungszeit nicht ganz hingereicht hatte, ging doch alles recht gut; nicht nur kam nichts Störendes vor, sondern alle Haupt-Momente kamen durchaus kräftig und frisch, und wie ich glaube, ganz in Deinem Sinn zur Erscheinung. Sehr gut wirkte gleich der erste Männerchor mit seinen frischen Rhythmen; mir gefielen wieder, wie beim ersten Hören, die Stellen: [Notenzitat, das Herz], und spätere: [Notenzitat, das Echo] ganz besonders. Ich vernahm auch, daß dieser Chor sich besonders die Sympathie der Herren Ritter erworben habe. Das folgende anmuthige E-Dur Solo sang Frl. Clemens aus Cöln , wie vorauszusehen war, sehr angemessen, und der Frauenchor klang frisch und duftig. Einige Urtheilsfähige meinten, dieser ganze E-Dur-Satz könne vielleicht, da es sich um so anmuthige und luftige und begeisternde Dinge wie Mailuft etc. handelt, etwas mehr Temperament und melodische Bedeutung haben; und ich will ihnen nicht ganz Unrecht geben. Ich betonte jedoch, daß Du an dieser Stelle schon aus constructiven Bedürfnissen, und mit Rücksicht auf den Plan des Ganzen, einen entschiedenen Gegensatz zum ersten Chor nöthig gehabt hättest. Die sich wiederholende Stelle [Notenzitat] macht sich sehr gut, denn sie ist recht poetische empfunden. Das Duett wurde von Frl. Clemens u. Bletzacher sehr gut gesungen, nur schien es mir, als wenn der Chor hier bei verschiedenen Stellen nicht discret genug gewesen sei. Der Barmer Chor ist sehr groß und stark, und behandelt solche Sachen oft etwas zu ...mächtig. Diese Neigung kam aber dem Schlußchor, wie DU Dir denken kannst, sehr zu statten; der ganze, schön und mächtig gedachte Schluß kam zur vollsten Geltung. Eine sehr comische Kleinigkeit muß ich doch erwähnen: der Chor spricht zwar im Anfang der letzten Nummer von „wonnevollen Tönen, die um den Felsenhang schleichen“, aber man hört sie nicht. Das Richtige wäre nach meiner u. Krauses Ansicht vielleicht gewesen, die Stimmung zunächst durch ein etwas längeres Orchester Vorspiel (16-20 Takte) zu fixiren; aller melodischer und coloristischer Zauber konnte hier aufgeboten werden, um die Worte des Chors zu rechtfertigen. Hier hat sich denn auch ein kleines deficit in der äußeren Wirkung herausgestellt, - die Meisten, die ich sprach, hatten an dieser wichtigen Stelle etwas Anderes erwartet. Es ärgert mich, daß ich nicht damals nach Aachen konnte, vielleicht hätte sich uns schon damals, was ich Dir heute als subjective Wahrnehmung melde, als die objective Wahrheit dargestellt, und Du würdest vielleicht an dieser Stelle etwas geändert haben. Das Vorspielen am Clavier kann auch dem Künstler niemals volle Klarheit über die Wirkung geben; nur die lebendige Wirkung entscheidet, das sehe ich immer deutlicher. Nun, dieser kleine „Erdenrest“ möge dem Werk zu tragen nicht peinlich sein. Es giebt ja keinen Künstler, der nicht hintennach noch Einiges ändern möchte. Die Gesammtwirkung des Stückes ist aber meines Erachtens eine sehr anmuthige, frische und erfreuende, und man findet Dich darin wieder, - wenigstens geht es mir so, der ich doch auch Deine früheren Sachen ziemlich genau kenne. Mach uns bald wieder so ein Stück; wähle dann aber jedenfalls den Stoff aus einem anderen Empfindungsgebiet. Hiermit will ich durchaus nichts gegen Stoff, Gedicht, Zusammenstellung des „Aufzugs“ gesagt haben / denn ich finde das Gedicht reizend und die Combinierung glücklich, / sondern ich meine nur, Du müßtest, um Dich nicht zu wiederholen, Deine Kräfte jetzt an einem ganz anders gearteten Stoff erproben. Ueberlege Dir das, Lieber, und laß mich bald hören, daß Du Neues förderst. – Von Deinen Freunden u. -innen war Niemand da. Krause hat sich alle Mühe mit dem Werk gegeben und sich vollverdient gemacht. Ich habe am 7. ein paar Stücke aufgeführt, unter denen Dich die Schiller’sche Dithyrambe vielleicht interessieren wird. Ich schicke sie Sim.[rock] bald, da kannst Du Dir die Sache gelegentlich einmal ansehen. Lebte sehr unruhig diesen Winter, war viel auf Reisen, bin jetzt endlich ruhig zu Hause und kann arbeiten. Allerlei liegt mir im Sinn. Es ist aber doch ein anderes Leben im fröhlichen Rheinland, als in dem verd-ten Berlin. Traurig nur, daß ich die Wenigen, die mir dort theuer waren, jetzt so wenig sehe. Nach Berlin komme ich diesen Winter nicht mehr. Odyss. rollt lässig durch die Welt, und ist viel Hälsebrechen seinetwegen, wozu der Vater des Odysseus höflich lacht. Etwas so großes gebe ich in der nächsten Zeit keinesfalls; es wäre aber möglich, daß ich die eine Episode aus dem Frl. vom See (mit dem Feuerkreuz und der allgemeinen Wehrpflicht in poetischer Form) dieses Jahr zu einem Werk für reine Concerttheil (9-10 Nummern) umarbeite. Hierüber erbitte ich aber Dein unverbrüchliches Schweigen! – Der I. Satz des neuen Violin-Concerts ist fertig. Still! – Math. ist ganz glücklich in den neuen Verhältnissen; sie ist ganz verklärt durch die Liebe zu den reizenden Kinderchen. Wir wohnen übrigens Thür an Thür., und sehen uns täglich. Die freundschaftli. Beziehungen zu Wasiel., Königsl., Gernsheim, etc. pflege ich – mit Hiller geht es nicht so leicht. Durch Od. hat sich auch im alten „Cölle“ Manches zu meinen Gunsten geändert, u. der liebe „Landsmann“ nimmt sich jetzt urplötzlich dort viel besser aus wie früher. Oeuf, oeuf, que te le mille – was man nicht alles erlebt! – Die Meistersinger haben in Cöln sehr viele Freunde, nur wenig Gegner; doch sind unter diesen letzten die wahrhaft musikalischen Leute. Es freut mich auch, daß Schnitzler bei dieser Gelegenheit genug Geistesgegenwart beweist, um ohne Fanatismus der Sache auf den Grund zu gehen und aus dem Wust dilettantischer Controverse die Principienfrage rein herauszuholen. Das Cölner Theater ist diesen Winter recht gut. – Der Bach-Verein scheint ganz aufgesch... mit dem Alten! – Seine Fähigkeit, griechische Conversation zu machen, Witze zu reißen, mit schönem Anschlag zart und coquett zu spielen, und oberflächlich zu urtheilen, ist dieselbe geblieben, - was aber seine Production betrifft, so kann man ( um das Wort eines Freundes in anderem Falle angewandt) von senilem Marasmus sprechen. Nal u. Damajanti ist ein 7/4stündiges Nihil, - potenzierte jüdische Langeweile. Wir Alle sind den „Unsrigen“ gegenüber in einer wenig beneidenswerthen Lage; ich habe, wie Du Dich erinnerst, einmal krampfhaft die „Festrede“ gehalten, - einmal und nicht wieder! – Nun sage mir, wann heirathest Du? Und wann heirathe ich? Ja, wer das wüßte! Leb wohl mein alter Freund, u. sei mit der l. Mutter herzlichst gegrüßt von Deinem Max Bruch P.S. Eigentlich müßte ich Dir noch eine „Festrede“ halten, über die Widmung der Romanze; ich will es aber aus angeborener Schüchternheit lieber bleiben lassen, obwohl diese Festrede wahrlich aus vollem und wärmeren Herzen kommen würde, als die damalige bei Dr. F. H.! – Aber mille grazie, mille grazie – ist das richtiges Ital.?! – Noch eines. Du bist ein Kauz, u. schreibst manchmal (d.h. selten!) Sachen, die man in der Harmonie nicht recht versteht. Die Harmonie der Stelle: „Es lebt der Wald von wunderbaren Zungen“ [Notenzitat] verstehen wir Alle nicht, Krause, Hiller, ich, Bletzacher, etc. Mir das ist das wirklich gar zu hart! – Friß mich nicht auf, sondern schreibe, - schreibe! – u. das bald! Frdl. Grß von TillBletzacher, Joseph (1835-1895) [Erwähnt], Wasielewski, Wilhelm Joseph von (1822-1896) [Erwähnt], Königslöw, Otto Friedrich von (1824-1898) [Erwähnt], Gernsheim, Friedrich (1839-1916) [Erwähnt], Schnitzler, Robert (1825-1897) [Erwähnt], Hiller, Ferdinand von (1811-1885) [Erwähnt]
Bemerkung: Max Bruch Bezug zu Ferdinand Hillers Nala und Damayanti, Op.150
Illustrationen: 4 Notenzitate (aus ER Aufzug der Romanze op. 18)
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4308881, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4308881
Erfassung: 12. Dezember 2025 ; Modifikation: 12. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-12T12:13:03+01:00
